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Zeichnung von einem Shrimp in einem Glas mit Etikett

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Artikel

Umwelt & Nachhaltigkeit

Der Aufbau des Vaisigano-Ökosystems

Samoa-Journal, Teil 4

Am siebten Tag in Sohaila Abdulalis Samoa-Journal geht es um die Bearbeitung, Rettung und Bewahrung der aus dem Vaisigano-Fluss gesammelten Exemplare für die Nachwelt. Am achten Tag geht die Exkursion zu Ende. Auch wenn die Reise nicht ohne Spannungen und Differenzen verläuft, so bleibt doch festzuhalten, dass Sohaila und das Team sich weiterhin für dieses Projekt und seinen Erfolg einsetzen und Samoa mit einem erweitertem Horizont verlassen.

Dies ist der vierte Teil. Lesen Sie auch Teil 1, Teil 2 und Teil 3.

Zeichnung eines Vogels mit Tränen in den Augen, der zwischen 9 Glästern sitzt , der Text lautet "Day 7 RIP Sebastian"

Samoa Journal #7 – RIP Sebastian

Die nächste Phase der Bürgerwissenschaft fand drinnen statt. Nach dem fröhlichen Plantschen im Fluss ging es nun darum, die Proben für die Nachwelt zu konservieren.

Das Biologielabor in der NUS ist sehr einladend, hell und großzügig. An den Wänden hängen erbauliche Poster, wenn man also vom Mikroskop aufsieht, kann man sich rasch über den Geburtsvorgang oder über Hüftknochen informieren. Auf dem besten Platz mitten im Raum findet man „Die männlichen Reproduktionsorgane“. Ich weiß nicht, ob irgendjemanden sonst dieses Missverhältnis irritiert hat, zwischen all den fleißig mit der Auswertung der Proben beschäftigten Studentinnen und den über ihnen aufragenden überlebensgroßen männlichen Genitalien, aber ich bin bekannt dafür, mich auf irrelevante Dinge zu stürzen. Kommen wir wieder auf unsere Starstudierenden und engagierten Forschungskräfte zurück.

Direkt nach der Exkursion zeigten Michael, Diana und Kush gemeinsam mit Faainu, Asonei, Sene (Spezialistin für das Flussleben) und andere Angehörige der NUS den Studierenden, wie sie ihre Fundstücke separieren und für die Auswertung am nächsten Tag in Behältnisse legen konnten. Die Larven, Mollusken und andere Lebewesen genossen ihre letzten Momente, bevor sie versiegelt wurden.

Illustration von einer Szene in einem Labor: Hände mit Handschuhen, Gläser und eine viereckige Schale mit zwei Würmern (einer davon tot, einer weint))

„Sammeln“ ist ein Euphemismus für „töten“. Wie traurig, dass die große Krabbe, die die Studierenden liebevoll Sebastian getauft hatten, der Wissenschaft geopfert wurde und nun bei Tempo Null stehen geblieben ist.

Heute Morgen erschienen nur drei Studierende, darunter Tuaimoana und Loretta, die heute zusammenarbeiteten. Viele Lehrkräfte waren da, um zu lehren und zu lernen, und Michael leitete die Diskussion sehr effizient. Er ist wirklich engagiert: Im Labor ist es heiß, außerdem muss er Englisch sprechen und sich in einem ungewohnten Akzent verständlich machen. Das Gleiche gilt für Diana, und ihre Stärke beeindruckt mich. Sie lieben ihre Themen, das ist eindeutig.

Michael ging alle Schritte zur Gründung einer Probensammlung durch. Beispielsweise sollte jede Institution eine Abkürzung haben. „NUS“ steht leider schon für die National University of Singapore, deshalb hat man sich hier für NUSMC entschieden. Die Etiketten werden auf bestimmte Weise beschriftet (innerhalb der Probengläser werden die Etiketten mit Bleistift beschrieben, damit sie lesbar bleiben), man braucht 70%-igen Alkohol, die Information auf den Etiketten wird auf bestimmte Art codiert. Hier die offizielle Klassifizierung der zweiten Probe, die beim Bürgerwissenschaftsprojekt am Vaisigano gesammelt wurde:

20232806
Vaisigano River/Aloa
NUSMC 00002
Eintagsfliege
Ufer/Wald

Tuaimoana und Loretta arbeiteten sehr sorgfältig an ihren Proben und taten das, was nur Mädchen in einem bestimmten Alter tun können: einen Riesenspaß haben und dabei völlig ernsthaft arbeiten. Sie beschäftigten sich intensiv mit Krabben und separierten sie so, dass nur dieselbe Art, die zur selben Zeit am selben Ort gesammelt worden war, in dasselbe Gefäß gelegt wurde. Diana kam dazu, und sie diskutieren über die Lebewesen und untersuchten sie sorgfältig, bevor sie sie für die Ewigkeit versiegelten. Woanders erlitt Sebastian das gleiche Schicksal.

Zeichnung eines weißen Vogels mit einer roten Blume im Schnabel und einer Sprechblase "RIP Seb!", daneben ein Glas mit einem Shrimp und einem Etikett

Das ganze Team scheint sich mit dem Projekt sehr wohl zu fühlen. Dianas Meinung: „Ich bin sehr froh. Es ist so cool. Einiges musste verändert werden. Ich wollte sie alle anleiten, aber so funktioniert das nicht. Sie verteilen sich einfach, sie forschen, und so lernen sie. Sie haben sich nicht für ihre Handys interessiert. Sie richten sich nach ihren eigenen Zeitvorstellungen und ihrer eigenen Vorgehensweise. Learning by doing, das hat Bestand, und das schafft auch gute Erinnerungen. Wenn sie etwas auf ihre eigene Art tun, lernen sie. Wir haben das Gefühl, dass wir etwas Nachhaltiges geschaffen haben. Es könnte etwas auslösen, das bleibt.“

Zeichnung einer Person im weißen Kittel mit blauen Handschuhen, die vor einem Computer steht, auf dem eine andere Person zu sehen ist

Kush sagte: „Wir haben für ein Projekt ein Ökosystem begründet. Wir können uns jetzt zurückhalten und sie aus der Ferne unterstützen oder ihnen alles selbst überlassen.“

Michael ist sehr optimistisch und ganz auf die nächsten Schritte fokussiert. Er möchte sicherstellen, dass alles richtig gemacht wird. Die Mitarbeitenden der NUS wollen ein Programm starten, bei dem die Studierenden diese Form des Sammelns lernen, eine großartige Idee.

Das Übersee-Museum will bei der Informationsvermittlung und bei Beratungen unterstützen, online oder persönlich. Alles ist möglich: Zusammenarbeit mit anderen Museen, akademischen Einrichtungen, engagierten Einzelpersonen. Hoffen wir, dass Sebastian nicht umsonst gestorben ist.

Zeichnung von einem braunen Vogel, der aus einem roten Bühnenvorhang tritt, der Text "Day 8 Curtains down"

Samoa Journal #8 – Der Vorhang fällt

Michael bleibt unerschütterlich bei seiner großen Ernsthaftigkeit und Hingabe an das Projekt. „Ich möchte unser Wasserprojekt in einem größeren Zusammenhang sehen“, sagt er. Er ist Wissenschaftler und hat das große Bild vor Augen. Auf seiner Wunschliste stehen Gespräche mit Samoanern über die Wasserversorgung von Apia und die Bedeutung des Flusses.

Und zum Bürgerwissenschaftsprojekt: „Ich weiß, dass jede Exkursion anders abläuft als geplant. Die Natur ist ein bisschen komplexer, als wir uns das vorstellen. Wir können nicht alle Proben sammeln, sie entwischen uns sehr gern.“ (Für Sebastian galt das leider nicht).

Sie fürchteten, nicht genug Proben zu sammeln, aber das war ganz unbegründet. Sie wurden daran erinnert, dass es eine sehr weit entfernte und ganz besondere Insel ist. Wir müssen viel mehr ins Detail gehen, um das Ökosystem zu verstehen.

Ich gebe zurück, dass ich im menschlichen Ökosystem treue Kirchgänger und mindestens einen lüsternen Pfarrer gesehen habe. Ich habe tropische Fülle gesehen, aber wo im Stadtzentrum sind die Seevögel, die Insekten, die Straßenhändler? Ich habe das heimelige Familiensystem gesehen, aber wo bleibt der Wille zur Innovation? Am Ende meines kurzen Besuchs kommt es mir so vor, als ob Samoa einige wichtige Dinge fehlen oder aber mir die Fähigkeit fehlt, sie zu sehen.

Wiebke ist mit dem Besuch sehr zufrieden. Ihre Workshops liefen genauso ab, wie sie es wollte. Die einzige Überraschung war die Frage der Rückgabe, die bei den Samoanern ganz klar präsent ist. Sie sprachen das Thema an, und jetzt muss es ein formelles Verfahren durchlaufen – von der Universität zur Regierung zum Botschafter in Brüssel. Die Pläne für eine Ausstellung hier sind vielversprechend.

So sind alle mehr oder weniger zufrieden. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich in diesen Notizen nichts über Mitianas Ansichten und Reaktionen geschrieben habe, sieht man von seinem Geschick beim Farnflechten ab. Das ist Absicht. Ich finde, dass Mitiana seine eigene Dokumentation verdient, denn seine Situation ist einzigartig. Als Einziger im Team ist er in der braunen und in der weißen Welt zuhause, und ich habe fasziniert zugesehen, wie er sich bewegt, völlig zuhause und zugleich Außenseiter.

Illustration mit einem Flugzeug, das die Insel Samoa verlässt und in den Sonnenuntergang fliegt

Wiebke war von der Gastfreundschaft berührt. Michael wurde von den Studierenden ermutigt. Diana, Kush, jeder lernte und genoss die Zeit. Großartig. Als Fliege an der Wand sehe ich mich zu der Aussage verpflichtet, dass Ahnungslosigkeit in diesem Fall ein großes Glück ist. Da ich in keine der Gruppen so richtig hineinpasste, hörte ich, wie jeder über die anderen maulte. Und Maulen taten sie. Ich will das hier nicht weiter vertiefen, aber ich möchte doch sagen, dass man aneinander vorbeiredete, dass Absichten falsch gedeutet wurden und dass Einige, nicht nur die einheimischen Bulbuls, trotz aller guten Absichten Federn lassen mussten. Vielleicht ist es das, was das Leben fordert, wenn unterschiedliche Menschen sich bemühen, ihre Pläne auszuführen und dabei Rücksicht auf die Anderen zu nehmen.

Was mich betrifft: Mein Gehirn brummt von den vielen Informationen, die mir im Kopf durcheinanderwirbeln. Mehr Samoaner im Ausland als im Land selbst. Chinesen heiraten Samoaner, um Zugang zum Land zu bekommen. Ein Dorf verbietet zweistöckige Häuser, weil das Wort dafür so ähnlich klingt wie der Name eines bedeutenden Häuptlings. Pfarrer, die ihre Gemeinden niedermachen, damit die sie unterstützen. Strafen, wenn der Rasen nicht perfekt geschoren ist. Ein Meer voller Farben wie von LSD-Trips. Zehn Tala (ca. 3,40 Euro) hervorkramen, um am Strand spazieren zu gehen, in einem Park zu sitzen, einen Wasserfall zu betrachten, weil alles irgendwem gehört und man nichts kostenlos anschauen kann. Die Welt ist so groß und so klein und so interessant ohne Ende, und ich verabschiede mich mit erweitertem Horizont, zwei Wochen älter, nicht unbedingt weiser.

Tofa Soifua, tschüss.

(Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Thielicke)