Zum Inhalt springen

Plattform für Dialog, Perspektiven und Einblicke rund um die Pazifikregion

Zeichnung von einem Insekt auf einem Finger, im Hintergrund Menschen, die den Fluß untersuchen

← Zurück zur Inhaltsübersicht

Artikel

Umwelt & Nachhaltigkeit

Wie beantworten wir die wichtigen Fragen?

Samoa-Journal, Teil 3

Es sind die Tage fünf und sechs des Samoa-Journals der in New York lebenden Schriftstellerin Sohaila Abdulali. Am fünften Tag geht es um den sprichwörtlichen Elefanten im Raum: die Rückgabe samoanischer Objekte an Samoa und die Interessen der Menschen, die wir in dieser komplexen Debatte in den Mittelpunkt stellen – und schließlich die Art und Weise, wie Museen mit der Problematik der Verantwortung umgehen. Am sechsten Tag treffen Kunst, Wissenschaft, Schönheit und Fakten aufeinander, als die Studierenden am Vaisigano-Fluss zu Entdeckenden werden.

Dies ist der dritte Teil. Lesen Sie auch Teil 1, Teil 2, und Teil 4.

Illustration of a brown bird writing "Day 5" on a sheet of paper with a speech bubble saying "Up for Grabs", an ancient column with a vase on it in the background

Samoa Journal #5 – Zum Greifen nahe

Als ich noch jünger und dümmer war, stellte ich mir Museen als friedlich und eher langweilig vor, wo alles statisch war, die Objekte unbeweglich und reizlos, wo nichts sich änderte. Ha. Heutzutage sind Museen – und das ist gut so – Brennpunkte für jedes heiße Thema, vom Gender zum Rassismus und allem dazwischen. Heute wollte ich herausfinden, wie das Übersee-Museum mit diesen Fragen umgeht.

Das ganze Team war auf dem Campus der NUS, um unser Vorhaben zu präsentieren und über das Museum zu informieren. Der Vortrag war gut und prägnant, und mir gefiel es, mit welcher Leidenschaft sie über die Dinge sprachen, die ihnen am Herzen liegen.

Während der anschließenden Diskussion kam die unvermeidliche Frage auf: Können Sie Samoa die Objekte zurückgeben, die ihm gehören?

Da war er, der Elefant im Zimmer. Gestern ging es um das Eigentum an Land und Leuten, heute denken wir über das Eigentum an Gegenständen nach. Und damit stellen sich uns allen brennende Fragen: Was ist mit den britischen Kronjuwelen? Gehören sie Indien und Persien? Was ist mit den Artefakten der amerikanischen Ureinwohner, die von ihrem heiligen Boden geraubt wurden? Das alles erinnert an die höchst beschämenden Tage, als Museen Menschen zur Schau stellten, wie die Südafrikanerin Saartjie Baartman, die Anfang des 19. Jahrhunderts in London ausgestellt wurde. Um diese furchtbare Verletzung noch zu verschlimmern, wurde sie Hottentottenvenus genannt. Heute erschauern wir (so hoffe ich), wenn wir daran denken, aber ist das so viel anders als die heiligen Gegenstände, in denen die Menschen, die sie hergestellt haben, lebende Geister sehen?

Zeichnung von zwei Händen, die jeweils ein Ende eines Textils halten, darüber zwei streitende Vögel

Unser Team gab eine gute Antwort auf die Frage, die ihm sicher schon oft gestellt worden war, und sagte im Wesentlichen, es sei eine lohnende, eine wichtige Frage, und wir müssten weiter diskutieren und debattieren. Sie wiesen auf die Zerbrechlichkeit mancher Objekte hin und wie schwierig der Transport sein würde. Sie sprachen darüber, wie wichtig es sei, die Deutschen auf ihre koloniale Vergangenheit hinzuweisen. Es klang alles sehr einleuchtend, aber mindestens genauso einleuchtend wäre es gewesen, wenn jemand im Auditorium aufgestanden wäre und gesagt hätte: „Hey! Das gehört immer noch uns, gebt es uns zurück!“ Und dann wäre eine tiefergehende Diskussion über die Komplexität dieses Themas auch sehr sinnvoll gewesen, nicht, weil die Objekte für Deutschland wichtig sind, sondern weil es hinsichtlich der Herkunft einfach nicht stimmt, dass alle Sammler Ausbeuter und alle kolonisierten Völker unglückliche Opfer waren. Und man kann sich wirklich nicht vorstellen, dass die Diskussion genauso aussehen würde, wenn ein Museum in Apia Artefakte etwa vom Vatikan hätte und der Vatikan sie zurückfordern würde.

Jedenfalls ist es eine lohnende Diskussion. Wir müssen gründlich darüber nachdenken, wessen Interessen wir in ihr Zentrum stellen. Was zählt mehr: eine deutsche Familie, die ein traditionelles ie toga besichtigen kann, oder eine samoanische Familie, die einen Gegenstand nach Hause bringt, der ihren Ahnen gehört hat?

Mein aus der Kindheit übernommener Blick auf Museen berücksichtigte auch nicht, wie hemmungslos kreativ die Kuratoren und Kuratorinnen sein können. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit einer Gruppe erfahrener Museumsleitern zu tun haben würde, die „für die Recherche“ mit Begeisterung Bierflaschen niedermachen würden. Die Samoa-Sammlung des Übersee-Museums braucht Beispiele aus dem 21. Jahrhundert, also kaufte unser hochmotiviertes Team lokal gebrautes Bier. Und da man volle Flaschen nicht gut mitnehmen kann, übererfüllten wir unsere Pflicht und tranken alle aus.

Zeichnung einer Gruppe von Menschen, die vor einem ausgestellten Textil stehen, dazu Sprechblasen, die ihre Gedanken und Idee symbolisieren sollen

Auch bitten sie Künstler gern um ungewöhnliche Formen der Zusammenarbeit. Etwa die Dichterin, die für das Museum ein bestimmtes Objekt kommentierte: einen Gürtel aus Pohnpei. Auf die Frage, woran der Gürtel sie erinnere, nannte sie Gerüche: nach einem Baby, nach totem Fisch, nach Ylang Ylang. Mir nichts, dir nichts entwarf das Team des Übersee-Museums Riechstationen für das Publikum, damit es die Vision der Dichterin nachvollziehen konnte. Klingt verrückt? Es ist verrückt – wunderbar verdreht, verrückt genug, um einen etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Wenn Museen ihren Auftrag wirklich erfüllen, sind sie also alles andere als statisch. Diese Ausstellungen sind voll von Leben und Erinnerungen und Geschichten und Freude und Schrecken. Museen müssen sich mit Verantwortung herumschlagen, mit Rechenschaft, mit dem Geist von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und dabei müssen sie auch noch deine Welt ein bisschen rocken.

Illustration of a bird sitting on a leaf that is floating on water. The text says "Day 6 Take me to the river"

Samoa Journal #6 – Bring mich an den Fluss

Junge Forscherinnen und Forscher mit Kronen aus Farn, die selbstvergessen den pH-Wert des Flusswassers bei Aloa bestimmen. So sah die Szene bei der bürgerwissenschaftlichen Exkursion heute aus.

Vierzehn Studierende nahmen an der Exkursion zur Probensammlung teil, und man hätte sie für international angesehene Forscher mit Paparazzi im Gefolge halten können: eine Kamera, eine Videokamera, sogar eine Drohne. Es war ein herrlicher Platz, die Samoanischen Honigfresser kreisten gemeinsam mit der Drohne über die Szene, und wir waren weg.

Zeichung von einer Person mit einer Krone aus Pflanzen, die im Wasser steht, eine Box mit Laborutensilien haltend, eine Drone fliegt darüber

Besonders faszinierend bei diesem Trip ist es, die Dynamik zwischen den Kulturen zu erleben. Heute hatte Diana die Idee, die ganze Gruppe im fließenden Gewässer zu versammeln und sie so alle gleichzeitig anzusprechen. Aber eine Horde samoanischer Teenager in einem Fluss kann man nicht im Zaum halten. Sie war klug genug, es nicht persönlich zu nehmen, sondern sie mit ihren Protokollbögen, Klemmbrettern und Klammern abziehen zu lassen, und das war sehr gut, denn innerhalb von Minuten waren sie alle beschäftigt.

Hier plantschte eine lachende Gruppe, während sie mit einem Maßband herumtapste, um die Breite des Flusses an einer bestimmten Stelle zu messen. Woanders zog Kush eine Stoppuhr hervor, und die studentischen Forschungskräfte warfen ein Blatt ins Wasser und stoppten die Zeit, die es von A nach B brauchte. Als wir das in unserer Kindheit machten, hatten wir noch keine Ahnung, dass wir empirisch forschten.

Illustration einer Flußszene, ein Insekt sitzt auf einer hand, eine andere Hand hält eine durchsichtige Tüte, in der sich ein Insekt befindet, im Hintergrund eine Person, die eine Krone aus Pflanzenim im Haar trägt und ihr Handy hochhält

Gemeinsam mit dem Fachbereich der NUS wollte das deutsche Team die meist weiblichen Studierenden mit der Bürgerwissenschaft vertraut machen. Sie bestimmten ein Transekt, einen repräsentativen Abschnitt, und entnahmen physikalische, chemische und biologische Proben aus mehreren Lebensräumen.

Die Studenten notierten ihre allgemeinen Beobachtungen und beschrieben Lebensräume – felsiger Untergrund, Schlamm auf einer Seite, große Felsen, kleine Felsen, organische Materie.

„Was seht ihr?“, fragte eine Lehrkraft.

„Ich sehe einen Fluss!“ Alles lachte. An einem so schönen Ort musste man einfach gute Laune haben.

Sie schätzten die Tiefe. Sie maßen die Fließgeschwindigkeit. Sie füllten ihre Bögen aus. Sie nahmen die offizielle Spielzeugkiste – sorry, den Chemikalientestsatz – und maßen Sauerstoffsättigung, Nitrate und Phosphate. Zum Glück scheint dieser Abschnitt des Vaisigano sehr gesund zu sein: niedriger pH-Wert, kaum Nitrate aus Abwässern oder Landwirtschaft, sehr niedrige Phosphatlevel. Gut für den Fluss, gut für das Meer, denn Phosphat tötet die Korallen.

Illustration of a person lifting a big rock from the ground and uncovering two intertwined worms from underneath it

Tuaimoana studiert im ersten Jahr an der NUS. Sie liebt Flüsse. Sie lebt in der Nähe eines Flusses und hat in ihrem jungen Leben schon die Zunahme der Verschmutzung beobachtet, was sie traurig macht. Sie ist überzeugt, dass die Naturwissenschaft ihre Berufung ist. Sie unterscheidet sich von den anderen, weil die meisten Studierenden vorher kaum etwas über Flüsse wussten und sich auch nicht dafür interessierten.

Neben der ernsthaften Arbeit macht das Ganze auch Spaß. Eine Gruppe findet Zeit, um rasch ein TikTok-Video zu machen. Eine Gruppe wandert mit Käschern umher, sammelt Proben und gießt vergnügt Wasser aus ihrem Eimer in Plastiktüten. Audrey von vor ein paar Tagen ist fasziniert davon. Mitiana pflückt zwei oder drei Farne und flicht sie geschickt zu Kronen, und am Ende des Vormittags tragen die Meisten, ob Professoren, Studierende, Kameraleute, Wissenschaftler, Farnkronen. Ein skurriler Anklang von Mittsommernacht durchweht die Veranstaltung. Irgendwie wirkt es angemessen, schließlich ist das Übersee-Museum eine kulturelle Einrichtung. Kunst und Wissenschaft, Schönheit und Fakten.

Wo wir gerade dabei sind, können wir uns kurz daran erinnern warum ein Museum sich für Bürgerwissenschaft einsetzt. Kush drückt es sehr gut aus: „Wir wollen ihnen beim Umgang mit Werkzeug und Ausrüstung helfen und ein gewisses Niveau in der wissenschaftlichen Diskussion erreichen. Für das Museum ist das eine Art Öffentlichkeitsarbeit. Es genügt nicht immer, das Objekt zu zeigen und eine Geschichte zu erzählen; man muss rausgehen und es zum Leben erwecken. So erweitert sich die Rolle des Museums, und das im Museum gespeicherte Wissen wird in Echtzeit genutzt. Sonst würde es stagnieren.“ Und da es in Samoa keine Grundlagenerhebung zu Süßwasserarten gibt, hilft jedes kleine Bisschen.

„Hat euch irgendwas überrascht?“, frage ich die deutschen Wissenschaftler.

„Die Geschwindigkeit der Krabbe hat mich überrascht“, sagte Michael. Die Honigfresser flogen einen weiteren karminroten Bogen über unseren Farnköpfen, und es war gut, an einem sonnigen Tag in Samoa lebendig zu sein und über eilige Krustentiere nachzudenken.

(Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Thielicke)