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Artikel

Aus Museum & Projekt

„Wenn Kinder aus Fiji ihre Herkunft kennen und sich verwurzelt fühlen, können sie diese Selbstsicherheit bewahren, egal wo auf der Welt sie sich befinden“

Im Gespräch mit Tarisi Sorovi-Vunidilo

Die Geschichtenerzählerin aus Fiji und Assistenzprofessorin für ethnische Studien an der California State University, Los Angeles, Dr. Tarisi Sorovi-Vunidilo, verbindet die Menschen von Fiji über die Sprache mit ihrer Kultur und ihrem Erbe.

In diesem Gespräch macht Dr. T, wie sie liebevoll genannt wird, deutlich, dass Identität eine Quelle der Selbstbestimmung ist. Sie ist der Meinung, dass die Digitalisierung von Sammlungen eine der Möglichkeiten ist, wie Museen ihr Erbe den Menschen, die es geschaffen haben, zugänglich machen können, und verweist auf die Bedeutung einer nicht-physischen Verbindung, da sich die Menschen immer weiter von ihrem Land entfernen. Dr. T. unterrichtet die Sprache Fijis online, um Kinder mit ihrer Kultur und ihren Vorfahren zu verbinden.

Tarisi Sorovi-Vunidilo wuchs in Fiji auf, umgeben von Geschichten. Jeden Abend lauschte sie den Erzählungen ihrer Eltern, die ihre sieben Kinder in die Welt der Familie, Landschaften, Pflanzen und Tiere eintauchen ließen. Diese Geschichten offenbarten die tiefe Verbundenheit der Familie zu bestimmten Orten und Traditionen und halfen den Kindern dabei, ihre Identität zu finden.

Aber später erfuhr sie, dass nicht alle Familien mit Geschichten aufwuchsen. Viele in Fiji verloren im Laufe der Zeit den Bezug zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Insbesondere diejenigen, die in andere Teile der Welt auswanderten, spürten den Verlust der Verbundenheit zu den Inseln, die über Generationen hinweg ihre Identität geprägt hatten.

Tarisi schließt diese Lücken, wo immer sie kann, indem sie Kinder, egal wo sie sich aufhalten, online in der Sprache Fijis unterrichtet. Dabei vermittelt sie nicht nur Wörter, sondern verbindet diese auch mit Geografie, Kultur, kulturellem Erbe und den Geschichten ihrer Vorfahren. Als Dr. T lässt sie die Kinder Stecknadeln auf einer Karte des pazifischen Inselstaates platzieren, um zu zeigen, woher ihre Familien stammen. Durch diese Stecknadeln entsteht eine physische Verbindung zu ihren Wurzeln. Sie zeigt ihnen Bilder aus Museumssammlungen und ergänzt die Wörter, die sie ihnen beibringt, um Kontext und Tradition zu vermitteln. Zum Beispiel erklärt sie Bilibili als ein Floß aus Bambus, der in der Region wächst, aus der die Familie des Kindes stammt.

Screenshot with seven different people
Referent*innen vom 21. September 2023, Dr. T in der Mitte

„In der heutigen komplexen Welt, wo Menschen von Fiji über den Globus verstreut sind, fernab ihrer kulturellen Wurzeln und mitunter isoliert oder diskriminiert werden, ist ein starkes Identitätsbewusstsein von großer Bedeutung“, erklärt sie. Es verleiht Kindern die Gewissheit, wie einzigartig sie sind und stärkt ihr Selbstbewusstsein.

Es geht also um dieses ganze Spektrum dessen, was einen eigentlich ausmacht, das die Kinder meiner Meinung nach kennen sollten, weil es so viel Reichtum enthält.

„Als wir Kinder waren, lernten wir genau, wo wir herkamen – aus welchem Dorf unser Vater stammt und welche Herkunft unsere Mutter hatte. Wir mussten den Stammesnamen kennen und verstehen, wie alles mit dem Landbesitz verbunden war. 

„Das Land bildet natürlich einen physischen Teil deiner Identität – es vermittelt ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität. Aber darüber hinaus besteht auch eine spirituelle Verbundenheit zu unserer Vergangenheit, die über das Land hinaus reicht. Mit meinen Geschichten versuche ich, eine Brücke zwischen diesen beiden Aspekten zu bauen und Eltern und Kindern ins Gedächtnis zu rufen, dass sie ein Zuhause besitzen, das einen Namen hat. Es ist wichtig, den Baum zu kennen, der zu deiner Familie gehört, und die Vögel zu erkennen, die darin nisten. Wenn du dich am Meer befindest, solltest du wissen, dass einer der Fische dort mit deiner Identität verbunden ist. Es geht also um dieses ganze Spektrum dessen, was einen eigentlich ausmacht, das die Kinder meiner Meinung nach kennen sollten, weil es so viel Reichtum enthält.

„Denken Sie nur an die Kinder, deren Totem die Schildkröte ist. Die Schildkröte ist ein wunderbares Geschöpf, aber stellen Sie sich vor, dass sie Ihr persönliches Tier ist, dem Sie sich widmen müssen. Aber es ist nicht nur so, dass Sie sich um die Schildkröte kümmern, die Schildkröte kümmert sich auch um Sie.“ Ihre Stimme senkt sich zu einem Flüstern. „Es ist eine symbiotische Beziehung. Das ist wirklich etwas Besonderes.“

Die nicht-physische Verbundenheit ist von großer Bedeutung; nicht nur, weil Menschen möglicherweise weit von der Pazifikregion entfernt leben, sondern auch, weil das Land möglicherweise Naturkatastrophen und den Auswirkungen des Klimawandels nicht standhalten kann.

„Diese Sammlungen sind ein wichtiges Mittel, um unsere Geschichten lebendig zu halten. Institutionen haben die Verantwortung, ihre Sammlungen zu digitalisieren, um das kulturelle Erbe den Menschen zugänglich zu machen, die es geschaffen haben.“

„Wenn es Ereignisse wie den Anstieg des Meeresspiegels, den Klimawandel oder eine geologische Katastrophe gibt, die Ihr Land bedrohen können, ist es besonders wichtig, dass Ihre Geschichte bewahrt wird.“

Tarisi erinnert sich daran, wie sie als Kind auf Schulausflügen Museen besuchte und die dort ausgestellten Objekte mit den Geschichten, die sie zu Hause hörte, in Verbindung brachte. „Diese Sammlungen sind ein wichtiges Mittel, um unsere Geschichten lebendig zu halten. Institutionen haben die Verantwortung, ihre Sammlungen zu digitalisieren, um das kulturelle Erbe den Menschen zugänglich zu machen, die es geschaffen haben“, betont sie. Dazu gehört auch, dass die Informationen zu den einzelnen Objekten nach Möglichkeit korrigiert und ergänzt werden.

Sie war selbst in einem bemerkenswerten Fall involviert. Ein Jahr lang arbeitete sie im Auckland War Memorial Museum in Neuseeland und durchforstete einen Schatz an Artefakten von Fiji, die, wie so viele Museumssammlungen, auf koloniale Weise mit englischen Bezeichnungen und knappen Beschreibungen kategorisiert waren. Sie lud Expert*innen für Töpferei, Weberei und andere kulturelle Bereiche Fijis ein, um die unterirdischen Gewölbe des Museums zu erkunden und die Artefakte zu studieren, sodass Bezeichnungen und Wissen von Fiji in die Museumseinträge integriert werden konnten. Die erweiterten, korrigierten, dekolonialisierten Informationen sind nun digital für die Welt zugänglich.

Während ihrer Arbeit hielt sie mit ihrem Smartphone Momente fest und teilte einige dieser Bilder in den sozialen Medien. Bald darauf begannen Menschen von Fiji in verschiedenen Ländern, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und Fotos zu veröffentlichen. 

„Die Erinnerungen!“, ruft sie aus. Dann sagte sie zu den Mitarbeiter*innen des Museums: „Ihr habt etwas zum Leben erweckt, das schon lange existierte.“

Sie ist nach wie vor fasziniert von der Offenheit der Kurator*innen im Museum. In einer Welt, in der Objekte normalerweise nur von Personen mit weißen Handschuhen berührt werden, steht der Erhalt an erster Stelle. Doch stellen Sie sich Folgendes vor: Eine ältere Frau aus Fiji, die aufgrund ihrer Fachkenntnisse im Flechten eingeladen wurde, nimmt einen Fächer aus der Sammlung in die Hand. Plötzlich beginnt sie zu tanzen und zu singen. Der Tanzfächer iri ni meke erwacht zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder zum Leben.

Tarisi hält diesen unerwarteten Moment mit der Kamera ihres Smartphones fest. Die Informationen, die diese Frau hinzufügt, werden in die Metadaten des Museums integriert.

Fidschianische Kinder auf der ganzen Welt können nun im Internet nach iri suchen und Fächer finden. Sie können die Vergangenheit erkunden und sie in ihre Gegenwart und Zukunft übertragen. Sie können sagen: „Ich weiß, wer ich bin. Alle meine Vorfahren sind bei mir.“