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Porträt eines Mannes

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Artikel

Perspektiven aus dem Pazifik

Pō – oder: Dunkelheit ist der Ort, an dem das Leben beginnt

In der Kultur Hawai'is ist die Dunkelheit der Ort, an dem das Leben und die Ahnen wohnen. Der Künstler Sean Joseph Choo denkt darüber nach, wie es ist, durch Museumsräume zu reisen und sich ihnen frontal zu stellen wie einem schwach beleuchteten Raum. Er gibt Einblicke in die Behaglichkeit, die sich einstellt, wenn man seine Abstammung mit dem Museum teilt, was es bedeutet, von einem Meer von Inseln umarmt zu werden und anderen zu helfen, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden.

Choo nahm am Workshop „Weaving a Narrative“ teil, einer Online-Seminarreihe mit Vorträgen und Auftragsarbeiten von Künstlern.

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Als ich jung war, hatte ich Angst vor der Dunkelheit. In Hawaiʻi wuchs ich mit viel Aberglauben auf: Pfeife nicht in der Nacht, sonst beschwörst du Geister; nimm kein Schweinefleisch auf dem Pali Highway mit, sonst passieren schlimme Dinge. Und so habe ich mir im Alter von acht Jahren Mut antrainiert, ich wollte sein wie Link aus „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“. Ich zwang mich, in der Dunkelheit zu stehen und alle Gespenster zu verscheuchen, die in der Nähe sein könnten.  Erst Jahre später erfuhr ich, dass in der hawaiianischen Kultur „pō“ oder Dunkelheit der Ort ist, an dem das Leben begann und wo die Ahnen noch leben.

Manchmal fühle ich mich in Museen wie ein Zeitreisender, der mit einer Schatzkarte in einem schwach beleuchteten Raum umherwandert: Wenn ich die Schnitzerei, den Pinselstrich oder die Federarbeit eines Kunsthandwerkers sehe, habe ich das aufregende Gefühl, in eine andere Zeit einzutauchen. Manchmal ist es kompliziert. Letztes Jahr besuchte ich das National Museum of the American Indian am Native American Heritage Day. Die Räumlichkeiten und Exponate waren wunderschön, aber sie hatten auch eine Schwere. Als ich durch die Ausstellung mit dem Titel The Americans ging, sah ich eine beunruhigende Geschichte, in der die USA sich die Symbolik der Ureinwohner*innen in Form von Markenzeichen, Maskottchen und vielem mehr angeeignet haben. Ich versuchte zu bleiben, verließ die Ausstellung aber nach nur zwanzig Minuten. Ich fühlte mich überwältigt, schmerzerfüllt: Die Parallelen zwischen der Behandlung der Ureinwohner*innen auf Turtle Island und der Behandlung der Einheimischen auf Hawai'i waren schwer zu ertragen.

Andererseits hatte ich in den letzten Jahren das Privileg, an Projekten mit Museen hier in meiner Heimat teilzunehmen. Ich arbeitete mit dem Capitol Modern (früher bekannt als das Hawaii State Art Museum) und dem Shangri La Museum of Islamic Art, Culture & Design zusammen, und diese Erfahrungen waren positiv.  Ein großer Teil davon liegt an der Art und Weise, wie Kurator*innen und Museumsmitarbeiter*innen den Zugang zu Räumen und Gegenständen ermöglichen und wie sie kommunizieren, indem sie die Exponate in ihren historischen Kontext stellen, aber auch auf ihre Bedeutung in der Gegenwart hinweisen.  Erst neulich erfuhr ich von dem Freund eines Freundes , der eingeladen wurde, bei der Rückführung von iwi kūpuna aus einem Museum in Europa nach Hawai'i zu helfen. Die Person fühlte sich geehrt und war überglücklich – soweit man sich überhaupt darüber freuen kann – die Überreste der Vorfahren in ihr ʻone hānau, ihren Geburtsort, ihr Heimatland, zurückzubringen.

Jetzt, da ich diese Verbindungen habe, fühle ich mich von „einem Meer von Inseln“ umarmt, wie Epeli Hauʻofa sagt, und durch unsere Wasserwege verbunden. In diese Kontinuität der Kultur, die den Pazifik durchdringt, eingeflochten zu sein, gibt mir Trost.

Als COVID kam und die Welt auf den Kopf stellte, erweiterte sich mein Blickwinkel, und es ergaben sich neue Möglichkeiten, wie Flaschen, die von anderen Stränden an Land gespült wurden. Ich habe zum Beispiel viele Pasifika-Künstler*innen kennengelernt und mit ihnen gearbeitet – auch viele, die schon mal mit Museen zusammengearbeitet hatten. Ich wäre nachlässig, wenn ich nicht meine kreativen Pasifika-Ältesten und -Kolleg*innen erwähnen würde, die mich als Insel-Künstler entscheidend geprägt haben:

Ich lernte das bahnbrechende Vermächtnis der Māori-Filmemacherin Merata Mita kennen, als ich für Stories of Oceania recherchierte, eine virtuelle Theaterproduktion für ein junges Publikum, welche von der Kompanie des Honolulu Theatre for Youth unter der Leitung des erstaunlichen Theaterkünstlers Moses Goods entwickelt wurde. Während der Arbeit an diesem Projekt hatte ich auch die Ehre, den Rotuman-Gelehrten und Künstler Dr. Vilsoni Hereniko kennenzulernen, der mir jetzt als Uncle Vili bekannt ist.

Ich habe meine schriftstellerische Laufbahn bei einem meiner Vorbilder, der hawaiianischen Journalistin und Dramatikerin Lee Cataluna, weiterentwickelt und hatte das große Vergnügen, in den letzten Jahren an vielen Projekten mit ihr zusammenzuarbeiten, zu Hause und in New York.

Ich hatte auch die Gelegenheit, von Victoria Nalani Kneubuhl betreut zu werden, einer weiteren hawaiianischen wahine Dramatikerin und eine meiner Lieblingsautorinnen auf der ganzen Welt.  

Ich lernte meine Liebe Kenji kennen, der zwar keinen ozeanischen Hintergrund hat, aber am Center for Pacific Island Studies der UH Mānoa studiert. Dadurch erfuhr ich von dem Mākua-Tal, ein Land, das für Frieden und Entmilitarisierung kämpft. Ich traf mich mit Kolleg*innen aus Saipan, Timor Leste, Rotuma, Rapa Nui und anderen Orten und konnte an Gesprächen teilnehmen, in denen wir uns austauschten darüber, was im Pazifik, meinem ozeanischen Hinterhof, passiert. 

Diese Verbindungen zu teilen hat nichts mit Status oder Prahlerei zu tun, sondern es geht darum, eine kulturelle Abstammung zu teilen, eine Moananuiākea-Ozeanien-Kultur, die mir nicht so bewusst war oder für die ich mich als Kind beschämenderweise nicht sehr interessiert habe. Jetzt, da ich diese Verbindungen habe, fühle ich mich von „einem Meer von Inseln“ umarmt, wie Epeli Hauʻofa sagt, und durch unsere Wasserwege verbunden. In diese Kontinuität der Kultur, die den Pazifik durchdringt, eingeflochten zu sein, gibt mir Trost. 

In der Finsternis dieser wilden Welt hoffe ich auf Versöhnung und Regeneration, geleitet vom Licht der Kukui-Nuss-Fackel, der Lamaku, die ich in der Hoffnung hochhalte, dass ich vielleicht jemandem helfen kann, auch keine Angst vor der Dunkelheit zu haben.

Und ich kann mir vorstellen, dass im „pō“ , beleuchtet vom Sternenlicht, die Familien Ozeaniens sich versammeln, geleitet von den Mondphasen, und sich auf Festlichkeiten aller Art vorbereiten. Das Sternenlicht, unter dem die Elfen, die ich aus Tolkiens Mittelerde liebe, geboren wurden; das Sternenlicht, das meine Seefahrervorfahren auf ihren Reisen über den Ozean führte; das Sternenlicht, das die Gemeinschaft aus nahen und fernen Ländern, aus der Vergangenheit und der Gegenwart erhellt. In der Finsternis dieser wilden Welt hoffe ich auf Versöhnung und Regeneration, geleitet vom Licht der Kukui-Nuss-Fackel, der Lamaku, die ich in der Hoffnung hochhalte, dass ich vielleicht jemandem helfen kann, auch keine Angst vor der Dunkelheit zu haben.