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Artikel

Aus Museum & Projekt

„Wer spannende Geschichten erzählen möchte, muss die Geduld haben, sich eingehend mit Menschen zu beschäftigen.“

Im Gespräch mit Priya Padma

Ist das Geschichtenerzählen die Antwort auf die Veränderung des Museumserlebnisses?

Als Chefredakteurin der Podcast-Plattform Suno India weiß die Journalistin und Podcasterin Priya Padma nur zu gut um die Macht des Geschichtenerzählens und der Dokumentation der gelebten Erfahrungen von Gemeinschaften. Ihre Arbeit war eines der Beispiele, die beim Workshop „Weaving A Narrative“ des Übersee-Museums Bremen vorgestellt wurden.

In diesem Gespräch erörtert sie die Resonanz menschlicher Geschichten, ihre Fähigkeit, ein globales Publikum in reichhaltige Gespräche zu verwickeln, die Auswirkungen der Vergangenheit auf die Gegenwart und die Bewahrung von Objekten und Kultur durch die Einbeziehung der Gemeinschaft.

Als Journalistin war Priya Padma es gewohnt, das Gesagte aufzunehmen und dann zu interpretieren. „Ich fand jedoch eine viel vertrautere und einzigartigere Dynamik darin, wenn eine Person ihre eigene Geschichte in ihren eigenen Worten erzählt, anstatt dass ich oder jemand anderes das Gesagte zusammenfasst,“ reflektierte sie. „Denn irgendwann schleichen sich Vorurteile ein.“

Als Chefredakteurin bei der Podcast-Plattform Suno India gibt sie das Mikrofon so oft wie möglich weiter.

„Die Authentizität von Personen, die ihre eigene Geschichte erzählen, ist nahezu einzigartig. Jede einzelne Person besitzt eine einzigartige Stimme und betrachtet die Welt aus einem individuellen Blickwinkel. Diese Vielfalt mag mitunter nicht mit der eigenen Erfahrung übereinstimmen.“

Sie betrachtet diese außergewöhnliche Möglichkeit auch im Kontext für Museen und andere Institutionen, deren digitalisierte Sammlungen ein weltweites Publikum erreichen und das Bedürfnis nach umfassenden, aussagekräftigen Metadaten und Informationen wecken, um das kulturelle Erbe der Objekte besser zu vermitteln.

Nur wer eine Erfahrung selbst durchlebt hat, kann sie auch authentisch wiedergeben.

Screenshot mit Teilnehmenden an einer Online-Sitzung
Referentinnen des Workshop Weaving A Narrative am 27. September 2023

„Die Auswirkungen der Kolonialisierung und die Prozesse der Unabhängigkeit mögen für manche Menschen vergangen sein, aber die Vergangenheit prägt die Gegenwart“

„Wenn wir eine Erfahrung nicht selbst gemacht haben ... selbst wenn wir wissenschaftliche Artikel verfasst oder gründlich recherchiert haben, bedeutet das nicht automatisch, dass wir das Recht haben, diese Geschichte zu erzählen,“ sagt sie. „Obwohl viele dies vielleicht als ihr Privileg betrachten, so nach dem Motto: Sie haben einen Doktortitel, also sind Sie kompetent.“

„Wenn Sie die Erfahrung nicht selbst durchleben, erzählen Sie sie nicht so, als hätten sie die ganze Geschichte erlebt. Denn tatsächlich kennt niemand die ganze Geschichte. Geben Sie einfach zu, dass dies nicht das ganze Bild ist. Es ist nur ein Teil der Geschichte.“

„Die Auswirkungen der Kolonialisierung und die Prozesse der Unabhängigkeit mögen für manche Menschen vergangen sein, aber die Vergangenheit prägt die Gegenwart“, fährt Priya Padma fort. Einer der meistgehörten Podcasts von Suno India, Beyond Charminar, hat sich zu einem Archiv der Erinnerungen älterer Bewohner dieser indischen Stadt entwickelt.

Sie ist davon überzeugt, dass Museen zunehmend die Realität der Kolonialisierung anerkennen und einen Dialog fördern müssen.

„Wir führen Gespräche mit älteren Menschen und tauchen erneut in die Vergangenheit ein, doch sie erzählen von einer Zeit, deren Auswirkungen sich bis heute in Indien bemerkbar machen,“ erklärt Priya Padma. „In gewisser Weise fungieren sie als Lehrer für die heutige Generation und liefern den Kontext für Ereignisse wie die Jahre 1948 oder 1947, als Indien die Unabhängigkeit erlangte und Hyderabad annektiert wurde, was zu religiösen Konflikten führte.“

„In jener Zeit geschahen Dinge, die bis heute Auswirkungen haben und maßgeblich die Vorstellung von Indien prägen. Daher ist es für mich von großer Bedeutung, Einblicke von Menschen zu erhalten, die diese Ereignisse selbst erlebt haben. ... Einige von ihnen erzählen mit nüchterner Emotionslosigkeit, während andere sehr emotional werden, wenn sie über diese Zeit sprechen. Ihre Geschichten tragen die Weisheit des Alters in sich, indem sie reflektieren, was besser hätte laufen können oder wo Fehler gemacht wurden.“

Sie ist davon überzeugt, dass Museen zunehmend die Realität der Kolonialisierung anerkennen und einen Dialog fördern müssen, der „von Akzeptanz und Mitgefühl gegenüber den kolonisierten Ländern, den fast ausgelöschten Kulturen und den gestohlenen Artefakten geprägt ist.“

Geschichten haben die Kraft, Menschen über Kulturen hinweg zu berühren. 

„Ich denke, wenn wir akzeptieren, dass unsere Vorfahren wirklich versagt haben, und wir als Generation versuchen, diese Fehler rückgängig zu machen – dann ist das ein guter erster Ansatzpunkt,“ erklärt sie.

„Ich sage das auch, weil wir diese ganze Reise innerhalb des Kastensystems in Indien durchlaufen. Als Frau aus einer privilegierten, oberen Kaste fällt es mir schwer, mich damit auseinanderzusetzen. Das Kastensystem wurde von meinen Vorfahren mitgestaltet und über Generationen hinweg vererbt. Das gilt es zu überwinden. Das erfordert einen Dialog, und dazu gehört auch, dass wir anerkennen, dass solche Dinge passiert sind.“

Sie erklärt, dass ein Museum mit umfassenden Informationen, insbesondere solchen, die von den Menschen selbst stammen, zu einem einladenden Ort für alle wird. Solche Geschichten haben die Kraft, Menschen über Kulturen hinweg zu berühren. 

“Wenn Museumsverantwortliche offen sind und solche Strategien anwenden, können sie den Besuchern helfen, tiefer in ihre Kultur einzutauchen.”

Im Workshop „Weaving a Narrative“, den das Übersee-Museum Bremen organisierte, um Wege zur Verknüpfung von Metadaten mit Storytelling zu erkunden, wurde eine Dichterin vorgestellt. Sie erzählte von einem Webstoff in einem Museum, den sie aus ihrer Kindheit kannte. Inspiriert von diesem Thema, führte Priya Padma Gespräche mit ihrer eigenen Mutter über den Sari ihrer Großmutter.

„Das (Gedicht) war für mich so eindringlich, weil man sich oft der Macht einer greifbaren Sache, verbunden mit einer tiefen Geschichte, nicht bewusst ist,“ erklärte sie. „Es erinnerte mich an den Sari meiner Großmutter. Dieser Sari hat für mich eine lebendige Bedeutung, da er eng mit den Erinnerungen an meine Großmutter verknüpft ist und eines der wenigen materiellen Überbleibsel ist, das mir von ihr geblieben ist.

„Meine Mutter gab mir diesen Sari, als mein Kind geboren wurde. In Indien ist es üblich, dass die Kleidungsstücke der Großmutter den Enkeln geschenkt und in die Wiege gelegt werden, als Zeichen des Segens der Vorfahren. Dieser Moment war für mich von großer Bedeutung und erinnerte mich an diese Verbundenheit, die man durch alltägliche Gegenstände erleben kann. Wir verwenden sie routinemäßig, aber selten erkennen wir, wie stark sie uns mit den Menschen um uns herum verbinden können.

„Wenn Museumsverantwortliche offen sind und solche Strategien anwenden, können sie den Besuchern helfen, tiefer in ihre Kultur einzutauchen.“ Nach dieser Sitzung kehrte ich zu meiner Mutter zurück und erkundigte mich nach den Ursprüngen und Gründen für diese Tradition. Ich wollte wissen, wie weit sie zurückreicht und in welchen Teilen Indiens sie praktiziert wird. Auf diese Weise fördert sie die Neugier sowohl auf unsere eigene Kultur als auch auf die Welt um uns herum, und das Museumserlebnis wird dadurch viel bereichernder und interessanter.

„Diese Art von Storytelling hat einen starken Einfluss.“

Sie sagt: „Es ist wichtig, dass diejenigen, die die Geschichte selbst erlebt haben, weiterhin Einfluss nehmen können. Es mag Geduld und Zeit erfordern, eine Geschichte zu entwickeln, aber die Mühe lohnt sich.“

„Ich habe festgestellt, dass die Leute oft tief durchatmen, wenn ich ihnen die Freiheit lasse, und sich dann viel offener zeigen. Sie sind eher bereit, ins Detail zu gehen, im Gegensatz zu einem Frage-und-Antwort-Format. Wenn sie erkennen, dass sie als gleichberechtigte Partner betrachtet und behandelt werden, was sie tatsächlich sind, und wenn sie sehen, dass keine Machtdynamik entsteht – denn Journalisten und Interviewpartnern bzw. Museen und Gesprächspartnern besteht oft eine solche Dynamik – dann erzählen sie viel eindrucksvollere Geschichten, weil das Gespräch auf Augenhöhe geführt wird.“

In gewisser Weise tendieren Institutionen dazu, eher Inhalte statt Geschichten anzubieten.

Wir denken darüber nach, wie wir dieses Bild auf Instagram veröffentlichen und wie wir mit diesen Artefakten ein Video gestalten können, aber niemand denkt wirklich darüber nach, wie sich diese Artefakte in eine Geschichte einweben lassen. Wie könnte beispielsweise dieses Artefakt in einem Lied besungen werden? Ehrlich gesagt ist es viel wahrscheinlicher, dass sich ein solches Lied – falls gewünscht – viral verbreitet, als bei einer ausschließlichen Veröffentlichung von Posts.“

Sie versteht die Abneigung der Museumsmitarbeiter*innen, ihre Objekte anzufassen; sie wollen sie in erster Linie schützen und erhalten. „Aber es gibt einen schmalen Grat zwischen Besitzen und Erhalten,“ stellt sie fest. „Wenn es Ihnen wirklich um Erhaltung geht, was unternehmen Sie dann, um die Gemeinschaften einzubeziehen, denen diese Artefakte wirklich gehören, und wie integrieren Sie sie in Ihr Storytelling?“