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Umwelt & Nachhaltigkeit

Keine Inseln ohne Flüsse

Bürgerwissenschaftsprojekt hofft, das Flusssystem Vaisigano in Samoa zu renaturieren

Das Übersee-Museum Bremen hat zusammen mit der National University of Samoa das Citizen-Science-Projekt ins Leben gerufen, um die Beziehung der Samoaner zu ihren Flüssen und Süßwassersystemen durch eine verbesserte Datenerhebung neu zu beleben.

Das Flusssystem des Vaisigano durchzieht über tausend Quadratkilometer der samoanischen Insel. Auf den Pazifikinseln sind Süßwasserökosysteme weiterhin vielfältigen Risiken ausgesetzt, die vom Klimawandel und der Umweltverschmutzung bis hin zur übermäßigen Abhängigkeit von der regenwassergespeisten Landwirtschaft reichen.

People standing in a river

Photo: Mitiana Arbon

Tuaimoana Ruby ist noch keine Zwanzig. Sie wuchs nahe dem Flusssystem des Vaisigano in Samoa auf, einem Inselstaat im Pazifik mit mehr als 280.000 Einwohnern. Das Flusssystem schlängelt sich durch Upolu, eine der beiden Hauptinseln des Landes, und in ihrem noch jungen Leben sah Ruby, wie es immer mehr verschmutzte. Als die NUS, an der sie Naturwissenschaften mit dem Bachelor-Abschluss studiert, ihr anbot, für ein besseres Verständnis des Vaisigano die Methoden der Bürgerwissenschaft kennenzulernen, griff sie zu.

Im Juli voriges Jahr schlossen Ruby und fünfzehn weitere Studierende sich dem von der NUS mitgestalteten und vom Übersee-Museum in Bremen geförderten Bürgerwissenschaftsprojekt an. Drei Tage lang konnten sie sich in diesem interdisziplinären Workshop mit Wissenschaftlern, Umweltschützern, Kommunikationsspezialisten und Künstlern aus Samoa, Deutschland und Indien austauschen.

Experten aus beiden Organisationen boten gemeinsam mit dem indischen Umweltaktivisten Kush Sethi und dem digitalen Storyteller Abhay Adhikari Workshops an.

Ruby erzählte der indisch-amerikanischen Autorin Sohaila Abdulali, die das Projekt dokumentierte, dass sie Flüsse liebt, und dass es sie traurig macht, sie in diesem Zustand zu sehen. Abdulali fand Ruby ungewöhnlich, „weil die meisten Studierenden vorher kaum etwas über Flüsse wussten und sich auch nicht dafür interessierten.”

Wenn man vom Ozean umgeben ist, nimmt man Flüsse eher am Rand wahr.

„Die Bedeutung von Süßwasservorkommen wird manchmal unterschätzt, vor allem auf Inseln, weil sie vom Ozean umgeben sind, der für das tägliche Leben wichtig ist“, erklärt Michael Stiller, Leiter der Abteilung Naturkunde im Übersee-Museum. „Aber ohne Süßwasser kann niemand überleben.“

Gemeinsam mit der NUS hat das Übersee-Museum das Bürgerwissenschaftsprojekt konzipiert, um nach Möglichkeit die Datenerhebung zu verbessern, indem es das Interesse der Einheimischen für das Flusssystem des Vaisigano fördert, der die 1.125 km2 große Insel durchzieht. Das Projekt kommt zu einer Zeit, in der die Ökosysteme Süßwasserressourcen auf Inselstaaten auf vielfältige Weise bedroht sind.

Mit ihrem blinden Vertrauen in das Süßwasser für die regenabhängige Landwirtschaft gefährden die pazifischen Inselstaaten Wirtschaft und Lebensgrundlagen zusätzlich zum Klimawandel, wie ein 2012 veröffentlichter Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) feststellt.(Link: https://reliefweb.int/report/tuvalu/freshwater-under-threat-pacific-islands-report). In der Region erklärt sich die Kindersterblichkeit vor allem durch Krankheiten, die von der unzureichenden Abwasserklärung verursacht werden.

Flusslandschaft mit Steinen und Bäumen

„In Samoa wurde das Süßwasser bisher kaum untersucht, und die Diversität seiner Fauna ist fast nicht erforscht“, stellte die Asiatische Entwicklungsbank in ihrem Bericht von 2019 fest. „In zukünftigen Untersuchungen könnten also durchaus neue Arten entdeckt werden.“ (Link: https://www.adb.org/ - documents)

Der Umweltaktivist Kush Sethi, der das Projekt gemeinsam mit Michael Stiller und der Biologin Diana Michler-Kozma vom Übersee-Museum plante, hält es für unverzichtbar, durch Grundlagenforschung die Biodiversität zu verstehen, die es im Wasser und an den Ufern der samoanischen Flusssysteme gibt.


Warum Bürgerwissenschaft?

Für Bürgerwissenschaft oder Citizen Science gibt es unterschiedliche akademische Definitionen. Eine umfassende Darstellung findet sich in dem 2021 erschienen Sammelband The Science of Citizen Science: „Das aktive Engagement der Öffentlichkeit für Forschungsaufgaben.“ (Link: The Citizen Science, Springer)

Aber Flüsse in Samoa oder auch Ozeanien stehen kaum je im Fokus der Bürgerwissenschaft.

Wie die Autoren konstatieren, sind Bürgerwissenschaft und Naturwissenschaft eng miteinander verbunden. Von der japanischen Beobachtung der Kirschbaumblüte im Tokio und Kyoto des 8. Jahrhunderts bis zu den deutschen Naturforschern Alexander von Humboldt und Ferdinand Müller, die im 18./19. Jahrhundert die ganze Welt bereisten, um die Natur zu begreifen – die Neugier gewöhnlicher Bürger hat die Naturwissenschaften geprägt.

Im 21. Jahrhundert entstanden in der Naturgeschichte mehrere derartige Projekte, etwa Orchid Observers des britischen Naturhistorischen Museums (Link: Orchid Observer) und Notes from Nature von Zooniverse (Link: Zooniverse Platform), einer digitalen Plattform für von Freiwilligen betriebene Forschung. Manche Projekte befassen sich auch mit Flusssystemen wie Schone Rivieren (Link: https://www.schonerivieren.org/), bei dem Freiwillige lernten, wie sie den Müll in zwei niederländischen Flüssen überwachen konnten. Aber Flüsse in Samoa oder auch Ozeanien stehen kaum je im Fokus der Bürgerwissenschaft.

Der oben erwähnte UNEP-Bericht über die Süßwasserökosysteme der pazifischen Inselstaaten benennt diverse Einschränkungen, etwa ein begrenztes Personal-, Finanz- und Ressourcenmanagement. Besonders gravierend außerdem: Brain Drain und fehlende technische und politische Kapazitäten.

Studierende mit Malblöcken am Fluß

ZURÜCK ZUM PROJEKT

Die Kooperation zwischen Übersee-Museum und NUS geht genau diese Herausforderungen an. Am ersten Tag arbeitete ein samoanischer Illustrator mit fünfzehn Studierenden. Dank dieser kulturell geprägten Aufgabe konnten die Studierenden ihre Eindrücke vom Fluss festhalten, sie künstlerisch darstellen und ihre Erfahrungen teilen. Die Beteiligten entfesselten ihre Kreativität in TikTok Videos und bildlichen Darstellungen oder auch in Kronen aus pflanzlichen Materialien.

Sethi wollte nicht ins kalte Wasser der Datenerhebung springen, sondern durch Aktivitäten eine „Verbindung“ aufbauen.

Eine Studentin notierte in ihrem Feedbackbogen: „… am besten gefiel mir das Malen, denn obwohl ich nicht gerade wie ein Profi zeichnen kann, hatte ich die Chance, meine persönliche Sicht auf den Fluss auszudrücken. Ich war ganz bei mir…“

Alle Beteiligten kannten den Fluss durch Geschichten, Schulstunden und Aufnahmen, aber nur wenige hatten ihn je gesehen. Eine Studentin schrieb, dass sie bis dahin über den Fluss nur gelesen hatte, und nach ihrer Exkursion an den Fluss habe sie „jetzt ein viel tieferes Verständnis für den Fluss, für seine Erscheinung, sein Dahinfließen, seine Breite, die umgebende Vegetation und überhaupt das Gefühl, in seiner Nähe zu sein.“

Im zweiten Teil des Projekts sollten die Studierenden Messungen vornehmen und die Daten auf eine digitale Plattform hochladen. Laut Michler-Kozma hieß das, die Fließgeschwindigkeit zu messen, chemische Parameter festzuhalten und Makro-Wirbellose zu fangen.

Die Naturwissenschaft in den pazifischen Inselnationen wurde durch die Kolonisation geprägt.

Die Naturwissenschaft in den pazifischen Inselnationen wurde durch die Kolonisation geprägt. Von 1899 bis 1915 war Samoa eine deutsche Kolonie, bis zum 1. Januar 1962 wurde es von Großbritannien und Neuseeland gemeinsam verwaltet. Das führte dazu, dass die wenigen naturhistorischen Sammlungen Samoas über die ganze Welt verstreut sind, erklärt Michler-Kozma. Der heutige Zustand der natürlichen Ressourcen und der Süßwasser-Biodiversität in Samoa muss dringend erfasst und dokumentiert werden. Perspektiven und Beteiligung vor Ort sind entscheidend – so erfuhren die Forscher im Verlauf des Bürgerwissenschaftsprojektes, dass der Vaisigano nicht nur ein Fluss ist. Er ist ein ganzes Flusssystem.

Zum Glück kann man heute nicht mehr einfach in ein anderes Land reisen, sich schnappen, was da so herumkrabbelt, und es einpacken. Michler-Kozma weist darauf hin, dass das verboten ist. Heute ist die Zusammenarbeit zwischen mehreren Ländern sehr wichtig. Ein Resultat der Kooperation zwischen Übersee-Museum und NUS war die Digitalisierung der eher kleinen Museumsbestände, sodass andere Forscher darauf zurückgreifen können.

Sie hofft, dass das Projekt wächst und dass sich weitere Samoaner beteiligen, um die App für Wissenschaft und Forschung mit ausreichend Daten für künftige Untersuchungen zu füttern.

Stiller möchte mit seinen NUS-Kolleginnen und Kollegen ein Curriculum entwickeln, „damit sie weitermachen können.“

Auch die Beteiligten wollen nach dem Workshop weiterarbeiten. Eine Studentin schrieb im Feedbackbogen: „Jetzt habe ich eine andere Vorstellung, wie der Fluss sein sollte. Weil ich dachte, er sei sauber…“ Der Workshop vermittelte ihr Grundlagenwissen über den Fluss, und sie schrieb: „Ich will das ändern, was mit dem Fluss passiert.“

(Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Thielicke)