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Artikel

Aus Museum & Projekt

I sing to you all as you lie there ...

Im Gespräch mit Hinemoana Baker

Können Gedichte uns helfen, die Schätze und Objekte in einem Museum zu verstehen?

Die Künstlerin und Dichterin Hinemoena Baker hat als digitale Stipendiatin mit dem Übersee-Museum Bremen zusammengearbeitet und gemeinsam mit der mikronesischen Dichterin Emelihter Khileng Gedichte verfasst, die Teil einer Installation in der Dauerausstellung des Museums sein werden.

In diesem Gespräch spricht sie über das Erbe, das in Objekten verkörpert ist, über die Rückführung menschlicher Überreste aus Museen und über eine Indigenisierung von Museen, weil dadurch die die Herkunftsgemeinschaften ins Zentrum rücken – gegenüber einer Dekolonisierung.

Tikifigur aus grünem Stein mit rot-umrandeten Augen und einem Band
I sing [Ich singe]
to you all [für euch,]
as you lie there [während ihr dort liegt,]

but you are far [doch ihr seid weit entfernt]
from dead [vom Tod,]
not even asleep. [weit entfernt vom Schlaf.]

I know for sure [Ich weiß genau,]
you are wide awake [ihr seid wach,]
and talking. [und redet.]

Hinemoana Baker fühlte sofort eine tiefe Verbundenheit, als sie den kleinen Hei-Tiki aus Jade sah, dem Symbol für Leben und Fruchtbarkeit der Māori Neuseelands. Dieser Taonga, dieser wertvolle Schatz, inspirierte sie zu ihren Gedichten. 

Zusammen mit der mikronesischen Dichterin Emelihter Kihleng war sie vom Übersee-Museum Bremen eingeladen worden, je ein Objekt aus der Ozeanien-Sammlung in ihrer eigenen indigenen, pazifischen Sprache lyrisch zu beschreiben. 

„Mit der Poesie versetzen wir uns in diese Objekte hinein, spüren ihre Geschichte und ihre Bedeutung“, sagt Hinemoana. „Es beeinflusst nicht nur unsere Sprache, sondern auch unsere Sichtweise, unsere Gefühle und unsere Spiritualität, wenn wir in der Gegenwart dieser Taonga Gedichte schreiben.“ 

Die Wahl des Hei-Tiki fiel ihr leicht. „Mir gefällt Pounamu wirklich sehr. Dieser jadeähnliche Stein ist für mich mehr als nur ein Schmuckstück. Er ist ein Zeichen der Māori-Kultur, ihrer Geschichte und ihrer Mythologie. Die Legende sagt, dass Pounamu einst ein Fisch war, der sich in Stein verwandelte. Allein diese Vorstellung begeisterte mich als Dichterin. Ich könnte mich stundenlang in Gedanken darin vertiefen.“ 

Auch die unverwechselbare Form des Hei-Tiki ist für sie Teil der Kultur. „Sie haben alle ihren eigenen Charakter. Und bei diesem Hei-Tiki war ich besonders von der tiefen grünen Farbe fasziniert. Sie leuchtete im Licht und die roten Augen schienen mich anzublicken. Ich spürte eine starke Verbindung zu dieser Figur.“

Ein Hei-Tiki wird als Anhänger getragen, wobei der Stein (dieser hier ist 3–4 cm lang) an einer Schnur aus geflochtenem Flachs auf der Brust ruht. Leider durfte Hinemoana ihn wegen der Aufbewahrungsvorschriften des Museums nicht umhängen. „Das ist das Traurige“, sagt sie, denn dieser neuseeländische Edelstein erwärmt sich auf der Haut. „Er absorbiert die Person, die ihn trägt und sobald man ihn abnimmt, kühlt er wieder ab. Deshalb schreibe ich in meinen von diesem Hei‑Tiki inspirierten Gedichten oft über Wärme, Berührung und die natürlichen Öle der Haut.“ 
Wenn sie an die Trennung solcher Schätze von ihrer Herkunft denkt, verspürt sie einen tiefen Schmerz. „Der Glaube sagt, dass die Taonga mit dem Geist der Person erfüllt sind, die sie einmal besaß oder der sie anvertraut wurden.“

„Natürlich teilen wir unsere Taonga auch mit anderen oder verschenken sie“, sagt sie. Doch das sind freiwillige und faire Transaktionen. Es stellt sich jedoch oft die Frage, wie solche bedeutenden Objekte in den Besitz der Sammler gekommen sind. 

„Das bedeutet, dass einer Familie oder Gemeinschaft ein solcher Schatz fehlt.“

Das ist nicht nur ein Verlust an sich, sondern auch ein Verlust an Wissen.

We have a right to the full heritage that’s embodied in those objects and that’s embodied in our language. We have a right to that full heritage, and we’re still repatriating it in various ways.

„Es geht nicht nur darum, dass das Objekt von seinem Ursprungsort entfernt wird, sondern auch darum, dass so die Chance verloren geht, mehr über diese Schätze zu erfahren und herauszufinden, wie sie nachgebildet werden können.

„Oft geht es auch um die Vielfalt der verschiedenen Stämme. Sie versuchen, ihre Einzigartigkeit in ihrer Kunst auszudrücken und viele dieser unglaublich schönen Unterschiede sind durch diesen Verlust und durch den Verlust unserer Sprache verloren gegangen.

„Wir haben ein Recht auf das gesamte Erbe, das in diesen Objekten und in unserer Sprache verkörpert ist. Wir haben ein Recht auf dieses gesamte Erbe, und wir sind immer noch dabei, es auf verschiedene Weise zurückzuerobern.“ Hinemoana und ihre Generation müssen andere Hürden überwinden, um sich ihrem kulturellen Erbe wieder anzunähern. Die Generation ihres Vaters wurde in vielerlei Hinsicht daran gehindert, ihre eigene Sprache zu sprechen und ihre Traditionen zu pflegen.

„Die Māori haben sich seit ihrer Besiedlung politisch gegen die Kolonialisierung gewehrt. Wir haben niemals aufgehört, für unsere Rechte und unsere Kultur zu kämpfen. Trotz vieler Rückschläge und Schwierigkeiten haben wir viel erreicht, sehr viel sogar. Unsere Geschichte ist nicht nur eine Geschichte des Leidens und des Verlusts, sondern auch eine Geschichte des Widerstands, des Wandels und der Erneuerung. Wir sind stolz auf unsere Errungenschaften, die wir uns hart erkämpft haben.“

Es handelt sich um eine sehr privilegierte westliche Vorstellung von Wissen, die davon ausgeht, dass alle Dinge für alle Menschen zugänglich sein sollten.

Hinemoana hat in den letzten Jahren mit Museen zusammengearbeitet, unter anderem bei der Rückgabe der menschlichen Überreste von Māori-Vorfahren. Sie ist der Meinung, dass Kulturgüter auch zurückgegeben werden könnten, sie könnten in den Museen durch Repliken ersetzt werden, die genauso aussehen und nicht konserviert werden müssen; Museumsbesucher*innen könnten sie sogar anfassen.

„Es gibt keine Rechtfertigung dafür, tote Menschen in Museen auszustellen“, sagt sie. „Das ist respektlos und sollte aufhören. Diese Menschen gehören zu ihren Gemeinschaften zurück.

"Aber wenn es um Kulturgüter oder Schätze geht, gibt es keinen Grund, warum die gleichen Erkenntnisse nicht auch mit Repliken gewonnen werden könnten. Es gibt da diese Art von Anspruch in dem Sinne: wir haben es genommen, jetzt gehört es uns, und wir sind noch nicht damit fertig, es uns anzuschauen ...“

„Was ist falsch daran, etwas zurückzubekommen und es zu nutzen, zu fühlen, zu halten, oder sogar zu verbrauchen? Es handelt sich um eine sehr privilegierte westliche Vorstellung von Wissen, die davon ausgeht, dass alle Dinge für alle Menschen zugänglich sein sollten. „Ich sage nicht, dass das schlecht ist. Es ist die Grundlage von Bibliotheken, Universitäten und dem westlichen Bildungswesen. Und auch das Internet folgt diesem Prinzip. Notwendigerweise ist das nicht schlecht. Aber es ist eine spezifische kulturelle Sichtweise. Und andere kulturelle Sichtweisen haben auch ein Recht auf Anerkennung, selbst wenn sie sich manchmal von dieser Sichtweise unterscheiden.“ 

Sie plädiert eher für eine Indigenisierung als für eine Dekolonisierung der Museen. Indigenisierung „rückt die Herkunftsgemeinschaften, denen diese kulturellen Schätze angehören, ins Zentrum“, sagt sie. „Und auch die Sichtweise der Herkunftsgemeinschaften. 

„Wir beginnen also mit einem Gespräch, bei dem alles, was man über ein europäisches Museum annehmen könnte, infrage gestellt wird. Das ist wirklich spannend und macht Spaß.“


Die Gedichte von Hinemoana Baker und Emelihter Kihleng sind Teil der Dauerausstellung des Übersee-Museums zusammen mit den Taonga, die sie inspiriert haben. Der Titel der Ausstellung ist einem von Emelihters Gedichten entnommen: You Need Our Eyes To See Us.