Beim Namen nennen
Die samoanische ie toga ist mehr als nur eine gewöhnliche Matte, wie sie manchmal genannt wird. Sie ist ein Produkt von Geschicklichkeit, Liebe, Talent und Hingabe und genießt in der samoanischen Kultur hohes Ansehen. Die Welt der Museen kann jedoch sehr begrenzt sein, wenn es darum geht, die volle Bandbreite ihrer Bedeutung und Funktionen zu erfassen. In dieser illustrierten Geschichte decken wir Bedeutungsebenen auf und die Wirkung von Objekten, wenn ihre Bezeichnung auf standardisierte Terminologie reduziert ist.

Was sehen Sie hier?
Man kann das Offensichtliche kaum übersehen. Das gewebte Muster. Das weizenfarbene Material. Die lockere Franse.
Spontan hätten wir es natürlich eine Matte genannt. Aber das wäre ziemlich ungenau.

Denn was wir eine Matte nennen, ist eine samoanische ie tōga. Nicht weniger als eine kulturelle Tradition.
Was steckt also in einem Namen?
Alles.

Stellen Sie sich eine Matte vor, und sofort wissen Sie, wozu sie dient: Man kann darauf sitzen, man kann damit den Boden bedecken, sie kann schmutzige, verschlammte Schuhe aufnehmen. Das Gegenteil von Respekt also. Das Gegenteil von Verehrung.

Die ie tōga dagegen wird niemals als Sitzmatte benutzt. Jedes Stück wird mit Geschicklichkeit, Geduld, Begabung, Liebe, Hingabe und großer Ehrfurcht für die Kultur Samoas geschaffen.

Eine ie tōga wird nicht nur mit Liebe hergestellt, sondern sie verkörpert diese Liebe. Etwa bei Hochzeiten, Beerdigungen, der Segnung eines neu erbauten Hauses oder einer Kirche.
Wenn Matten wie Trittsteine an einer Türschwelle sind, sind die ie tōgas wie Brücken, sie verbinden die Menschen. Im Jahr 2002 bekam die neuseeländische Premierministerin Helen Clark eine ie tōga geschenkt. Vorausgegangen war ihre öffentliche Entschuldigung beim Volk von Samoa dafür, was von 1914 bis 1962, während der Verwaltung durch Neuseeland, geschehen war. Das ist nur ein Beispiel. Jede Art Matte hat in der samoanischen Kultur eine besondere Geschichte und einen würdigen Namen.

Und genau darin liegt das Dilemma. Als Museum haben wir das Wissen, wir kennen die Geschichte hinter jeder dieses Matten. Aber die Sprache beschränkt uns.
Wie heißt das deutsche oder englische Äquivalent für diese rechtmäßigen Namen? Wie können wir unsere Sammlungen Menschen über die kulturellen Grenzen hinweg zugänglich machen, ohne die Legitimität oder das Erbe der Artefakte zu verkleinern?
Als Menschen, die mit Dokumentation und Wissensmanagement befasst sind, denken wir manchmal, dass es den einen richtigen Weg geben muss. Das richtige Wort, das richtige Vokabular, die richtige Beschreibung von etwas. Aber die Suche danach hört niemals auf.
„Durch dieses Projekt erfuhr ich, dass es ein Online-Portal namens digitalpasifik.org gibt, mit dem die Inselbewohner ihr in überseeischen Sammlungen enthaltenes kulturelles Erbe in digitaler Form erkunden können. Um unsere Sammlung zu finden bräuchte man allerdings ein völlig anderes Vokabular. Deshalb könnte es manchmal wichtiger sein, dass man weiß, woher etwas genau kommt.“ (Teammitglied, Übersee-Museum Bremen)

Vereinfacht ausgedrückt würde ein Einheimischer in einem solchen Portal womöglich nicht nach einer „Matte“ suchen, und ohne die entsprechenden Kenntnisse würden Museen die zutreffenden Begriffe für ihre Sammlung vielleicht nicht benutzen.
Nein, den Stein der Weisen haben wir nicht gefunden. Aber wir haben in der Zusammenarbeit mit unseren samoanischen Partnern gelernt, dass Dialog und beiderseitiger Wunsch nach Dialog viel bewirken kann.

Wie sah das in unserem Fall konkret aus?
Unter anderem war das ein Videocall, bei dem das Team des Übersee-Museums den Partner*innen von der National University of Samoa die Depots im Museum zeigten. An dem Meeting nahmen auch Mattenweberinnen aus Samoa teil.
Vor dem Meeting legten die Konservator*innen die Objekte aus und überlegten sich, wie sie sich reibungslos durch den Raum bewegen konnten.
Während des Meetings zoomten wir die Details heran – die Webart der Matte, die Textur, die Fransenkanten. Wir stellten Fragen und hörten zahlreiche Geschichten, wir erfuhren von Aspekten und Feinheiten der Matten und von der Bedeutung ihrer Herstellung.

Auch wenn wir nicht im selben Raum waren, war es doch unglaublich, wie Wissen geteilt, ausgetauscht und vermehrt wurde.
Sagen wir also ‚Matte‘? Was steckt in einem Namen, fragt man sich.
„Als Museum lernen wir immer noch dazu. Und wir verlernen. Aber eins wissen wir genau: Um Wissen zu dokumentieren, müssen wir Fragen stellen, statt Vermutungen anzustellen. Zuhören müssen wir, nicht führen.“ (Teammitglied, Übersee-Museum Bremen)
Um es mit einer Redensart zu sagen: Von nichts kommt nichts. Vor allem keine Museumssammlungen, die mit Respekt, Vertrauen und gemeinsamer Arbeit verbunden werden. Aber genau das macht alles umso kostbarer und erhaltenswerter.
(Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Thielicke)
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